Dr. Erwin Levy | 1907 - 1991
Die nachfolgende biographische Notiz und Bibliographie zu Erwin Levy ist eine erweiterte Fassung der in meinem Buch
G. Stemberger (Hrsg.): Psychische Störungen im Ich-Welt-Verhältnis. Gestalttheorie und psychotherapeutische Krankheitslehre. Wien: Krammer 2002 enthaltenen. Darüber hinausgehende ergänzende Informationen ebenso wie das nebenstehende Foto von Erwin Levy verdanke ich Frau Irmgard Schwarz, der Schwester von Erwin Levy, die sich unter dem Künstlernamen Irmgard Andersen vor ihrer erzwungenen Emigration in die USA einen Namen als Sängerin und Kabarettistin gemacht hat.
Eine ausführlichere Fassug dieses Lebenslaufs sowie eine kommentierte Auswahlbibliographie insbesondere der klinischen Schriften Erwin Levys habe ich 2011 in der Zeitschrift Phänomenal veröffentlicht (siehe Literaturangaben unten).
Gerhard Stemberger
Stationen seines Lebens:
- Erwin Michael Levy wurde am 11.4.1907 in Graudenz (Polen) geboren. Er starb am 10.11.1991 in New York.
Familie: Sein Vater war der Augenarzt Erich Levy (geb. am 30.5.1871 in Mewe, heute Gniew, Polen), seine Mutter Wally (Vally) Levy (geb. Joseephy, auch Josephy, 20.3.1880 in Berlin). Erwin Levy hatte zwei Schwestern: Hella Levy, geb. 12.8.1912 in Graudenz, und Irmgard Levy, geb. 1.2.1914 ebenfalls in Graudenz, Künstlername Irmgard Andersen, später in den USA verheiratete Irmgard Schwarz. Levy war der Neffe des renommierten Psychologen-Paares Clara Stern (1877-1948, Schwester seiner Mutter) und William Stern (1871-1938), Cousin des Kultur-Philosophen und Schriftstellers Günther (Stern) Anders (1902-1992) und Groß-Cousin des Philosophen und Kulturkritikers Walter Benjamin (1892-1940). - Nach seiner Gymnasialzeit in Graudenz, Aachen und Hamburg (Abitur 1925) studierte Levy Medizin an den Universitäten Hamburg, München und Berlin, wo er 1931 zum Dr.med. promovierte. Seine praktische Spitals-Ausbildung im Rahmen dieses Studiums absolvierte er 1930-1931 am Universitätsklinikum Frankfurt. Nach Abschluß seines Medizinstudiums war Levy vom Oktober 1931 bis April 1933 (zugleich mit Wolfgang MetzgerR) Assistent von Max Wertheimer am Psychologischen Institut der Universität Frankfurt.
- 1933 floh er angesichts der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland nach Paris, von dort 1934 nach New York. Dort war er bis 1937 ständiger Gast in Max Wertheimers Seminaren an der New School for Social Research. In den Aufzeichnungen von Luchins & Luchins über die Wertheimer-Seminare an der New School werden mehrere Seminare referiert, an denen Levy teilnahm und Fälle aus seiner psychiatrischen und psychotherapeutischen Praxis zum Gegenstand der Diskussion wurden. Dort finden sich unter anderem zwei Seminare, die sich inhaltlich mit den Fällen und Fragestellungen beschäftigen, die Levy in seiner Arbeit Some Aspects of the Schizophrenic Formal Disturbance of Thought behandelt hat (Luchins & Luchins, 1978, S. 255-259, 'Understanding Psychotics' Speech', und S. 260-261, 'More on Psychoticy' Speech').
In Luchins & Luchins, 1987, S. 75f, ist eine eingehende vergleichende Schilderung LEVYs über die Lehrmethoden Wertheimers in Frankfurt und New York wiedergegeben. Auch über diese Zeit an der New School for Social Research hinaus blieb Levy mit Max Wertheimer in Kontakt und war häufiger Gast im Hause seiner Familie (persönliche Mitteilung von Max Wertheimers Sohn Michael Wertheimer). - Wolfgang Metzger spricht von Levy als "Arzt und Psychologe" - ob Levy ein Studium der Psychologie absolviert und abgeschlossen hat, ließ sich allerdings in der Recherche für diese biographische Notiz nicht feststellen.
- 1934-36 arbeitete Levy zur Erlangung der ärztlichen Zulassung in den USA am Hastings Hillside Hospital, New York. Anschließend (1936-39) absolvierte er dort auch seine psychiatrische Facharztausbildung. 1939-41 war er an dieser Krankenanstalt als Senior Psychiatrist tätig, 1941-42 als Assistant Medical Director. Ab 1941 gehörte er als Life Fellow der American Psychiatric Association an. 1943-46 diente Levy im Rang eines Majors im militärärztlichen Dienst der US Army.
- 1950 trat er eine Stelle als Clinical Director am Pinewood Sanitorium, Katonah, NY, an, die er bis 1952 innehatte. 1968-75 war Levy als Professor für Klinische Psychiatrie an der Mount Sinai Medical School, New York, tätig, ab 1977 als Consultant am Beth Israel Hospital, NY. Neben diesen institutionellen Tätigkeiten betrieb Levy in New York eine psychoanalytische Privatpraxis, mit der er seinen Lebensunterhalt hauptsächlich bestritt. Seine psychoanalytische Ausbildung erhielt er durch eine sechsjährige Lehranalyse in New York; bei wem er diese absolvierte, ließ sich bisher leider noch nicht eruieren
- Von seinen Publikationen (siehe anschließende Bibliographie) hebt Wolfgang Metzger in seinem Aufsatz "Gestalttheorie im Exil" als "besonders bedeutsam der Ansatz zu einer Gestalttheorie der schizophrenen Denkstörungen von 1943 und eine Kritik der Freudschen Auffassung vom Über-Ich (1956)" hervor. Ersterer ist in diesem Sammelband in deutscher Übersetzung enthalten.
- In seinem Brief an Luchins & Luchins vom 31. Mai 1969 hatte Erwin Levy noch festgestellt, daß er seit 1943 ausschließlich im psychiatrischen Bereich tätig gewesen sei und bis zu einem gewissen Grad die Kontinuität der Beschäftigung mit der Gestalttheorie verloren hätte (Luchins & Luchins, 1987, S. 75). Seine Publikationen in der Folgezeit zeigen jedoch eine wieder zunehmende Auseinandersetzung mit der Gestalttheorie. Mit der Gesellschaft für Gestalttheorie und ihre Anwendungen (GTA) und ihrer Zeitschrift Gestalt Theory blieb Levy bis an sein Lebensende 1991 verbunden.
- 2018 veröfffentlichte der deutsche Psychologe Karl Haller sein Buch über Leben und Werk von Erwin Levy, dem eine Forschungsreise in die USA und die Auiswertung einer Reihe neuer Dokumente zugrunde liegen: Erwin Levy - Gestalttheoretische Beiträge zur Schizophrenieforschung. Göttingen: V&R. (-> Kurz-Rezension)
Bibliographie:
1936: A Case of Mania with its Social Implications. Social Research, 3 (1936), 488-493. [Deutsche Übersetzung von G. STEMBERGER siehe Sammelband.]
1943: Some Aspects of the Schizophrenic Formal Disturbance of Thought. Psychiatry, 6, 55-69. [Deutsche Übersetzung von G. STEMBERGER siehe Sammelband.]
1956: Some Problems Concerning Ethics and the Super-Ego. Amer. Journ. Psychoth., 10, 217-240.
1967: On the problem of the possibility of a perceptual world-in-common. Philosophy and phenomenological research, 28 (1/1967), 48-57.
1968: Is Scientific Treatment of Goal-Directed Behavior Possible? Journal of the Hillside Hospital, 17, 383-396.
1980: Some Thoughts on the Mind-Body Problem. Perspect. Biol. & Med., 513-525.
1981a: A Problem in Thinking. Psychological Reports, 49, 219-236.
1981b: ‚Syllogisms in Productive Thinking' by Max Wertheimer (Translation of ‚Über Schlußprozesse im produktiven Denken', in: Drei Abhandlungen zur Gestalttheorie, Erlangen: Philos. Akademie, 1925, and translator's note). Psychological Reports, 49, 395-412.
1986: A Gestalt theory of paranoia. Introduction, comment and translation of ‚Heinrich Schulte'. Gestalt Theory, 8, 230-255. [Deutsche Übersetzung von G. Stemberger siehe Sammelband.]
1988: A Note on the Mind-Brain Problem. Gestalt Theory, 10, 129-133.
1990: A Note on the Circle. Gestalt Theory, 12, 116-122.
1991: Some Further Thoughts about the Brain-Mind-Problem. Gestalt Theory, 13, 272-275.
1997: Einige Aspekte der schizophrenen formalen Denkstörung. Übersetzt von G. Stemberger. Gestalt Theory, 19, 27-50. [Siehe Sammelband.]
2000: Ein Fall von Manie und seine sozialen Implikationen. Übersetzt von G. Stemberger. Gestalt Theory, 22, 20-26. [Siehe Sammelband.]
Kritisch zu Levy 1988 und 1991:
THOLEY, P. (1992): Anmerkungen zum Leib-Seele-Problem. Kommentar zu Erwin LEVY: "A Note on the Mind-Brain-Problem" (1988) und "Some Further Thoughts about the Mind-Brain-Probme (1991). Gestalt Theory, 14(2), 145-148.
Quellen zu Leben und Werk von Erwin Levy:
American Psychiatric Association. Biographical directory of fellows & members of the American Psychiatric Association. New York, R.R. Bowker Co., 1977.
American Psychiatric Association. Biographical directory. Washington, D.C.: American Psychiatric Association, 1983.
Haller, Karl (2018): Erwin Levy - Gestalttheoretische Beiträge zur Schizophrenieforschung. Göttingen: V&R. (-> Kurz-Rezension)
Luchins, A.S. & E.H. Luchins (1978): Revisiting Wertheimer's Seminars, Vol. II: Problems in Social Psychology. Lewisburg: Bucknell University Press. (zu Levy u.a. S. 140f, 255-262).
Luchins, A.S. & E.H. Luchins (1987): Max Wertheimer in America: 1933-1943. Gestalt Theory, 9(2), S. 70-101 (zu LEVY: 75-76, 78).
Metzger, Wolfgang (1976): Gestalttheorie im Exil. In: H. Balmer (Hrsg.), Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Bd. I Die Europäische Tradition, 659-683 (E. Levy: 675).
Stemberger, Gerhard (2011a): Erwin Levy - Ein Gestalttheoretischer Psychiater und Psychoanalytiker (1907-1991). Phänomenal - Zeitschrift für Gestalttheoretische Psychotherapie 3(1), 53-54.
Stemberger, Gerhard (2011b): Beiträge eines gestalttheoretischen Psychoanalytikers. Eine kommentierte Bibliographie von Erwin Levy, mit Schwerpunkt auf seinen klinschen Schriften. Phänomenal - Zeitschrift für Gestalttheoretische Psychotherapie 3(1), 54-59.
Waldvogel, Bruno (1992): E. Oppenheimer-Fromm und E. Levy: Zwei Schüler Wertheimers, die ihn für die Psychoanalyse zu interessieren versuchten. In: Psychoanalyse und Gestaltpsychologie. Historische und theoretische Berührungspunkte. Stuttgart-Bad Cannstatt: fromman-holzboog, 52-53.
Wolfradt, Uwe (2014): Erwin Levy. In: Wolfradt, Billmann-Mahecha & Stock, Deutschsprachige Psychologinnen und Psychologen 1933-1945: Ein Personenlexikon. Springer, 274-275.
Zimmer, A. (1991): Mitteilung zum Tod von E. Levy im Editorial, Gestalt Theory, 13, 201.