Friedrich Hoeth | 1931-1981
Friedrich Hoeth, Prof. Dr. rer. nat.
geb. 24. August 1931 in Wuppertal - gest. 1. Juni 1981 in Olfen/Westf.
Wissenschaftlicher Werdegang
Friedrich Hoeth war Schüler des Gestalttheoretikers Edwin Rausch, der seine Promotion noch bei Max Wertheimer begonnen und nach Wertheimers Emigration in die Vereinigten Staaten beim Wertheimer-Schüler Wolfgang Metzger 1937 abgeschlossen hat. Friedrich Hoeth promovierte nach seiner Diplom-Prüfung in Psychologie (1960) bei Edwin Rausch mit einer Arbeit über stroboskopische Alternativbewegungen (1965) und trat 1966 eine wissenschaftliche Assistentenstelle an der Universität Frankfurt an. Es folgte die außerordentliche Professur an der PH Braunschweig (1971) und der Ruf auf eine ordentliche Professur für Psychologie an der TU Darmstadt (1975). Im Jahr 1978 nahm Friedrich Hoeth einen Ruf an die Universität Dortmund an, an welcher er bis zu seinem Tod gelehrt hat. Sein Forschungsschwerpunkt war die Ausbildung und Funktion von sozialen Wertvorstellungen, Vorurteilen und Stereotypen sowie ihre Bedeutung in Diagnostik Umfrageforschung und Prüfungssituationen an Hochschulen.
Friedrich Hoeth war ein beliebter Hochschullehrer, dessen souveräner und gleichzeitig leichtverständlicher Vortrag von Studierenden sehr geschätzt wurde. Als akademischer Lehrer betreute er unter anderem die Promotionen von Hellmuth Metz-Göckel (1976) und Hans-Jürgen Walter (1977) und erstellte im Habilitationsverfahren des Metzger-Schülers Kurt Guss (1981) das erste Gutachten. Hoeth war Mitbegründer der im Jahr 1978 gegründeten „Gesellschaft für Gestalttheorie und ihre Anwendungen e.V.“ (GTA) und Chairman der ersten wissenschaftlichen Arbeitstagung dieser Gesellschaft in Darmstadt (1979). Das Foto zeigt ihn auf dieser Tagung rechts neben Kurt Guss, Ulrich Groeben, Hans-Jürgen Walter und Walter Piel (v.r.n.l.).
Wissenschaftliche Publikationen (Auswahl)
- Kommunikationsstruktur und Gruppenleistung. Affektive Spannungen und Leistungsminderung als Folge von Fehlerwartungen der Gruppenmitglieder. Psychologische Forschung, 1965, Jg. 28, S. 598-615. (Zeitschriftenbetrag mit Edwin Rausch, Wilfried Reisse und Isolde Meyer.)
- Experimentelle Untersuchungen zum Problem des „guten“ Eindrucks. Zeitschrift für Experimentelle und Angewandte Psychologie, 1965, Jg. 12, H. 1, S. 59–85. (Zeitschriftenbetrag mit Genoveva Kucklick und William E. Simmat.)
- Gesetzlichkeit bei stroboskopischen Alternativbewegungen. Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt 1966. (Buchveröffentlichung.)
- Experimentelle Untersuchungen zur Validität von Persönlichkeitsfragebogen. Psychologische Rundschau, 1967, Jg. 18, S. 169–184. (Zeitschriftenbeitrag mit Renate Büttel und Hugo Feyerabend.)
- Graphentheoretische Konzepte als Hilfsmittel bei der Analyse von Gruppenstrukturen und Kommunikationsprozessen. Gruppendynamik, 1975, Jg. 6, H. 5, S. 349–379. (Zeitschriftenbeitrag.)
- Hans-Jürgen Walter: Gestalttheorie und Psychotherapie. Dr. Dietrich Steinkopff Verlag, Darmstadt 1977, S. IX–XII. (Einführung.)
- Variabilität und Konstanz als phänomenologische Kategorien. Gestalt Theory, 1979, Jg. 1, H. 1, S. 19–25. (Zeitschriftenbetrag.)
- Zur Sozialpsychologie des Hochschulprüfers. Gruppendynamik, 1979, Jg. 10, S. 231–248. (Zeitschriftenbetrag.)
- Perls, Hefferline und Goodman: Gestalt-Therapie – Wiederbelebung des Selbst. Verlag Kett-Cotta, Stuttgart 1979. Gestalt Theory, 1980, Jg. 2, H. 1-2, S. 115–117. (Buchbesprechung.)
- Zur Diskussion des Prägnanzbegriffs. Gestalt Theory, 1981, Jg. 3, H. 3-4, S. 200–206. (Zeitschriftenbetrag.)
- Sozialstereotype: Analyse sozialer Wertvorstellungen unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die psychologische Diagnostik und die empirisch-psychologische Umfrageforschung. Enke Verlag, Stuttgart 1983. (Buchveröffentlichung mit Viktoria Tholey.)
Paul Tholey schreibt in seinem Nachruf auf Friedrich Hoeth
Friedrich Hoeths „schmerzlicher Freitod ruft die Erinnerung an Karl Duncker wach, der sich ebenfalls auf dem Höhepunkt seines Schaffens das Leben nahm, und der – wovon der in diesem Heft wieder abgedruckte Beitrag über ethische Probleme zeugt – zu den feinsinnigsten Denkern der Gestalttheorie gehört. So verschieden auch die Lebensumstände von Duncker und Hoeth gewesen sein mögen, man kann sich wohl kaum der Frage entziehen, wie es möglich ist, dass Menschen, die mehr und schärfer sehen als andere, letztlich selbstzerstörerischen Tendenzen unterliegen. Sich einer solchen Frage zu stellen, ist Aufgabe der Gestalttheorie, und – dessen bin ich sicher – im Sinn von Friedrich Hoeth, der Wissenschaft niemals als eine Möglichkeit der Flucht vor den existenziellen Lebensproblemen verstand, sondern als ein Mittel zu ihrer Bewältigung“ (Gestalt Theory, 1981, Jg. 3, H. 3-4, S. 166).
Kurt Guss erinnert sich an Friedrich Hoeth
Als ich in den siebziger Jahren auf einem privaten Treffen in Stuttgart Friedrich Hoeth und seine Frau Doris kennenlernte, sprang sofort der Funke der Sympathie über und die Familien Hoeth und Guss sind bis zum heutigen Tage freundschaftlich verbunden. Fide erwärmte sich damals schnell für den Plan, der Gestalttheorie durch die Gründung einer Gesellschaft angemessene Geltung zu verschaffen. Dank der Faszination, die von seiner Persönlichkeit ausging, verstand es auch, andere für diesen Plan zu gewinnen.
Friedrich Hoeth konnte druckreif reden und wenn es ihn gepackt hatte, war er nicht mehr aufzuhalten. Die Gründungsversammlung der „Gesellschaft für Gestalttheorie und ihre Anwendungen e.V.“ hat im Jahr 1978 zwar mich zum ersten und Friedrich zum zweiten Vorsitzenden gewählt, der erste und brillante Kopf unter den GTA-Gründern aber war zweifellos Friedrich Hoeth.
Er war ebenfalls der Gastgeber unserer ersten wissenschaftlichen Arbeitstagung in Darmstadt. Noch heute sehe ich ihn vor mir, wie er während dieser Tagung in seinen Beiträgen mit Charme und Leichtigkeit verwickelte Gedankengänge vortrug und weiterführende Forschungsfragen entwickelte. Beispielsweise verstand er es wie kein anderer, uns Rauschs Kategorien der phänomenalen Konstanz und Variabilität nahe zu bringen.
Nur allzu gern würde ich heute mit ihm die Frage diskutieren, unter welchen Bedingungen der Gebrauch schädlicher Substanzen phänomenal konstant werden kann und inwieweit diese individuellen Fixierungen durch kollektive Parameter aufrechterhalten und verstärkt werden. Wir beide, Fide und ich, wurden nämlich Opfer dieser fatalen Prozesse und Zusammenhänge. Friedrich Hoeth hat es nicht überlebt: wenige Wochen nach unserer zweiten wissenschaftlichen Arbeitstagung in Bielefeld hat ihn die Kraft zum Leben verlassen.
Sein früher Tod beschäftigt mich bis heute. Ebenfalls bis heute beschäftigt mich die Frage, die er auf unserer 2. Arbeitstagung in Bielefeld aufgeworfen hat: Was unterscheidet Prägnanz sensu Wertheimer von Primitivprägnanz sensu Hoeth? Vielleicht finden wir eines Tages eine Antwort auf diese Frage, die seinen scharfen, unbestechlichen und universal gebildeten Verstand befriedigt hätte ...